Okarinabau - Voicing mit Stimmloch

Meine neue Okarina aus der Keramikwerkstatt "Ton und Töne" hat ein "Stimmloch". Auf dem Siegburger Keramikmarkt fragte ich Martin Lietsch, was es damit auf sich hat. Um seine Erklärung einordnen zu können, müssen wir uns die Grundlagen zum Thema "Voicing" / "Stimmen" klar machen.

15.7.2015

(c) E. Stennes-Falter

Die Grundbedingungen für das Stimmen einer Okarina werden beim Aufbau der Instrumente festgelegt, denn Form und Größe bestimmen in etwa die Tonlage und die Tonraumspanne, also die Entfernung zwischen dem tiefsten und dem höchsten spielbaren Ton. Die Anzahl der Töne hängt nicht nur von der Anzahl der Löcher ab sondern auch davon, ob sich das Instrument überblasen lässt. Das soll uns aber hier nicht weiter beschäftigen. Hier konzentrieren wir uns auf die Bedeutung des Stimmlochs.

 

Bevor dieses gebohrt wird, muss erst einmal dafür gesorgt werden, dass sich die Okarina anspielen lässt. Dazu schneidet man folgende Öffnungen, sobald die Form des Instruments fertig und der Ton zäh und standfest ist:

 

Als erstes sticht man den Windkanal durch das Mundstück und schneidet dann das Fenster.

Das Fenster (in der Skizze dunkelgelb) hat zwei Funktionen:
1. Hier trifft der aus dem Windkanal (grau) austretende Luftstrom auf die Labiumkante (rot), die ihn teilt und so verwirbelt, dass die Luft im Innenraum (beige) zum Schwingen/Klingen angeregt wird.


2. Mit der Größe des Fensters wird der Grundton der Okarina festgelegt.

Um Punkt 2 besser zu verstehen, macht einmal folgendes Experiment:
Nehmt eine geleerte Flasche und probiert aus, ob ihr sie so anblasen könnt, dass ein klarer Ton entsteht.
Wenn das klappt, haltet die Flasche so mit zwei Händen fest, dass die Zeigefinger und Mittelfinger rechts und links über die Kante der Flaschenhalsöffnung gelegt werden können. Das macht das "Fenster" kleiner und bewirkt, dass der Ton dunkler wird.

 


Ob das Fenster sauber ausgeschnitten ist und ob die Okarina funktioniert, kann man schon an der lederharten, also noch nicht ganz fertig getrockneten Okarina feststellen, indem man sie anbläst und spielt. Nachdem der Grundton der Okarina gefunden/festgelegt wurde, geht es ans Bohren und Stimmen der Grifflöcher. Wo diese genau sitzen und wie groß sie sein müssen, hängt von der Größe und der Form der Okarina ab. Da findet jeder Okarinabauer mit der Zeit seine eigenen empirisch festgelegten Maße.

Keramikwerkstatt "Ton und Töne" Musikinstrumente aus Ton, Okarinas,
2 Okarinas mit Rauchbrand gefärbt und mit feinen Stichen verziert; links ohne und rechts mit Stimmloch​

Nun zum Stimmloch, das mir bei einem Teil der Instrumente von "Ton und Töne" auffiel.

Martin Lietsch erläuterte die Bedeutung des Stimmlochs in etwa folgendermaßen:
Wenn sich beim Stimmen der Ocarina heraus stellt, dass der Grundton der Ocarina 1/2 Ton unter dem gewünschten Grundton liegt, schneidet er nicht das Fenster weiter auf, sondern bohrt ein Stimmloch in den Bauch der Okarina. Ist auf diese Weise der gewünschte Grundton eingestimmt, können die Grifflöcher anschließend wie gewohnt gebohrt und gestimmt werden.

 

Lietsch setzt das Stimmloch so, dass es sich vom linken kleinen Finger abdecken lässt. Man kann es nach Belieben ignorieren oder als Erweiterung der Tonleiter unter den Grundton nutzen.

Die Tonleiter der auf Grundton c gestimmten 6-Loch-Okarina:
c d e f g a h c und dazu die Halbtöne cis/des dis/es fis/ges gis/as ais/b

Mit Stimmloch erweiterte Tonleiter:
h c d e f g a h c und dazu wie oben die Halbtöne

Das Stimmsystem der 6-Loch-Okarinas hat Lietsch selbst entwickelt. Es weicht bei mehreren Tönen vom englischen System (Taylor/Langley) ab. Wer sich für die verschiedenen Griffsysteme interessiert, findet hier eine Zusammenstellung aller mir bislang bekannten Griffsysteme.


Vorteil des Stimmlochs für das Musizieren

Ich finde diese sich aus dem Stimmloch ergebende Erweiterung der Tonleiter unter den Grundton sehr interessant und auch praktisch. Dadurch lassen sich einige Lieder realisieren, die sich auf Okarinas, deren Tonleiter mit dem Grundton startet, nicht spielen lassen.

Beispiel: "Wenn die Bettelleute tanzen"

Noten mit Griffschrift für Lietsch-Okarina
Noten mit Griffschrift für Lietsch-Okarina
Lietsch-Okarina mit Stimmloch Griffsystem für 7 Finger

Meine Okarina spricht sehr gut an. Die Intonation ist durchgehend auf mittleren Blasdruck ausgerichtet. Bei den hohen Tönen muss der Blasdruck nur leicht gesteigert werden. Der Klang der Okarina ist kräftig, durchsetzungsfähig und ein klein wenig hauchig.

STE-004a_Wenn die Bettelleute tanzen_etw
Wave Audio Datei 3.2 MB

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